Matera – Frederico und die Höhlenmenschen

Matera

Es ist 9:30 Uhr. Wir sitzen auf der Rückbank eines nicht mehr ganz taufrischen VW-Busses. Der Fahrer versucht, mit beiden Händen den Rückwärtsgang einzulegen. Nach mehreren Versuchen hat er es geschafft und los geht sie, die wilde Fahrt nach Matera. Schon die erste Kurve nimmt er deutlich zu schnell und auch die weitere Fahrt verläuft, als seien wir auf der Flucht.

Es ist Shuttle-Time! Wir sind auf dem Weg in die Stadt der Sassi. Der Agriturismo, auf dem wir heute übernachtet haben, bietet einen Shuttleservice in die Stadt der Sassi an. Und wir mittendrin. Die Spanierin neben mir wird schon etwas blass um die Nase. Denn unser italienischer Freund am Lenkrad gibt alles für die Poleposition. Wir sind inzwischen in der Stadt angekommen. Es wird eng. Zack! Kurz mal einem parkendem LKW den Spiegel halb abgefahren. Unser spanischer Mitreisender erschrickt: „Uih!“

Doch unseren Michele Alboreto stört das wenig. Noch ein paar Meter und wir sind da. Buona giornata. Grazie.

Zwei Querstrassen weiter stehen wir im Zentrum der Kulturhauptstadt Europas 2019.

Matera raubt uns erstmal den Atem. Es ist so beeindruckend. Seit siebentausend Jahren haben Menschen hier gelebt. Die Sassi sind hier an den Hängen einer großen Karstschlucht entstanden. Auf der gegenüberliegenden Seite von Matera befindet sich ein großer Parkplatz, von dem aus man durch die Schlucht über eine Hängebrücke die Stadt erreichen kann. Derzeit ist der Weg wegen Steinschlaggefahr gesperrt. Das hält manche trotzdem nicht davon ab, den Weg zu gehen. Der Rest steht am Felsrand neben einander aufgereiht und schaut zu uns herüber. Es sieht aus wie in den Winnetoufilmen, wenn die Schurken in eine Schlucht gelockt werden und oben die Apachen mit Pfeil und Bogen auf sie warten. Die Indianer von Matera kommen jetzt nicht mit dem Pferd, sondern dem Reisebus und bewaffnet sind sie eher mit Fotoapparaten als mit dem Bogen.

Wir machen uns auf den Weg, bevor diese Massen hierüber kommen.

Zuerst schauen wir uns mal die Höhlenwohnung von Vico Solitario an. Bis 1956 hat er hier gelebt. In einer solchen Höhlenwohnung haben nicht selten 2 Erwachsene und bis zu 6 Kinder gewohnt. Dazu kamen noch die Tiere. Toilette gab es keine. Hierzu diente ein glasierter Topf aus Tonerde mit einem Holzdeckel. Auch Leitungswasser gab es natürlich nicht. Das Regenwasser wurde in einer Zisterne gesammelt und zum Schutz vor der Feuchtigkeit wurde das Doppelbett hoch gestellt. Das schaffte wieder Platz für Vorräte oder Tiere, wie zum Beispiel Hühner.

Nach der Höhlenwohnung geht es weiter zur Santa Maria dell`Idris und zur Chiesa San Pietro Caveoso.

Matera

1952 wurde von Staatspräsident Gasperi die Räumung der Sassi angeordnet. Zu diesem Zeitpunkt lebten ungefähr 30.000 Menschen in der Stadt. Sie wurden in Neubausiedlungen untergebracht. Die Neuansiedlung wurde 1968 abgeschlossen. Heute sind 70 % der Sassi Staatseigentum, das von der Gemeinde verwaltet wird.  Die Sassi wurden von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt. Sie werden derzeit restauriert. Bis 2019 ist hier auch noch einiges zu tun.

Matera

Wir klettern weiter in den oberen Stadtteil. Hier thront die Cattedrale di Maria della Bruna. Von hier aus schlendern wir einfach durch die kleinen Straßen. Es gibt soviel zu sehen, und ab und zu kommt auch die Sonne zum Vorschein. 

Am Shuttle-Treffpunkt wartet schon unser witziger Landwirt und begrüßt mich von weitem mit einem schallenden „Buongiorno, Frederico!“ So hat er mich bereits gestern den ganzen Tag gerufen. Unseren spanischen Mitreisenden erklärt er dann auch warum. Irgendwie glaubt er aufgrund meines Bartes, ich sei ein direkter Nachfahre von Friedrich Barbarossa, oder vielleicht sogar der Kaiser himself. Ok, mir soll es Recht sein. So schlecht klingt Frederico ja auch nicht.

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